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2000 04 01 Feuerwehr schlachtet Kulturzug aus0001

KULTURZUG

„Gründlich ausgeschlachtet“

Zweieinhalb Jahre gammelte der Kulturzug auf dem Naumburger Bahnhof, jetzt sorgt er für grenzüberschreitende Verärgerung. Mittendrin: Bürgermeister Matzath, eine holländische Kulturstiftung und die Elbenberger Feuerwehr.

Geliebt haben die Naumburger den Wagen nie: Knallbunt mit schrillen Fantasie-Gestalten hatte ihn der Künstler Jim Avignon im Sommer 1995 angepinselt. Über Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen wurde der aus Beständen der ostdeutschen Reichsbahn stammende DBX-Doppelstockwaggon - auch „Schneewittchensarg" genannt - zum rollenden Kulturzentrum mit Bühne, Bistro und Toiletten ausgebaut.

Ehe der Waggon aber wie geplant über Deutschlands Schienen rollen konnte, ging der Kulturzug e.V. 1997 pleite. Mehr als 500 000 Mark an Sponsorengeldern waren bis dahin in das ehrgeizige Projekt geflossen. Der Waggon wurde auf dem Naum­burger Bahnhof auf das Abstellgleis geschoben.

Die Ruhe des „Schneewittchensarges" wurde vor kurzem gestört. Mitglieder der Elbenberger Feuerwehr rückten an und bauten aus. Und dabei, sagt Klaus Albrecht, bis zur Liquidation des Vereins Vorsitzender des Kulturzugs, haben die Wehrleute ganze Arbeit geleistet: „Gründlich" sei der Waggon in zwei Etappen „ausge­schlachtet" worden.

Albrecht hat nach einer Besichtigung des Waggons, bei der auch ein Vorstandsmitglied der Elbenberger Wehr anwesend war, aufgelistet, was demontiert wurde: Thekenanlage, Kühlschrank, Ölbrenner, Bühnenlichtanlage, Toilettenein­bauten mit Hochdruckspülanlagen, Deckenlampen, elf Tischplatten aus Buchenholz. Die Sicherungskästen seien herausgeschnitten, Deckenplatten entfernt und Heizungsschläuche gekappt worden. Albrecht kommt in seiner „Aufstellung der Werte, die im Kulturzug DBX Anfang März 2000 ausgebaut wurden" mit Arbeitsauf­wand auf eine Summe von 71 800 Mark. Nach seinen Informationen habe die Feuer­wehr 3500 Mark bezahlt.

Von der Elbenberger Wehr, die derzeit das Dachgeschoss ihres Gerätehauses ausbaut, war bis gestern keine Stellungnahme zu bekommen. Allerdings will Albrecht der Feuerwehr nicht den Schwarzen Peter zuschieben: „Die Feuerwehr ist daran nicht schuld. Bürgermeister Matzath . hat kopflos den Wagen zerstören lassen."

„Museumsstück"

Naumburgs Bürgermeister Jürgen Matzath weist diesen Vorwurf strikt zurück. Er kümmert sich in seiner Funktion als Vorsitzender des Vereins Regional-Museum Naumburger Kleinbahn, der für den Unterhalt der Bahnstrecke zwischen Naumburg und Elgershausen zuständig ist und in dem die Anliegergemeinden sowie der Hessencourrier Mitglied sind, um das Schicksal des DBX-Waggons. Sein Verein habe den Waggon für 20 000 Mark von der Kasseler Sparkasse, die nach der Pleite des Kulturzugs das Sicherungsrecht hatte, „quasi als Museumsstück" gekauft. Man habe ihn fahrbar machen und für Kulturveranstaltungen nutzen wollen. Dieses sei nicht gelungen.

In Zukunft dürfe der Wagen den Vereinshaushalt nicht mehr belasten. Im Gegenteil. Matzath: „Zur Finanzierung des Preises war das, was zu verwerten war, zu veräußern." Die Elbenberger Wehr habe sich für die Kühlanlage interessiert und er, Matzath, habe die Erlaubnis zur Demontage von „Kühlschrank und Kühlanlage" gegeben: „Baut sie Euch aus und fertig". Die Ware habe der Feuerwehrverein „zu einem Anstandspreis gekriegt. Damit erfüllt die Anlage, die ausgebaut ist, einen letzten, gemeinnützigen Zweck".

Wie geht's weiter? Aus optischen Gründen soll der bunte Wagen vom Naumburger Bahnhof verschwinden. Entweder wird er verschrottet - dafür müsste Matzaths Verein voraussichtlich zahlen - oder es findet sich noch ein Käufer. Ein potenzieller Abnehmer hatte schon im vergangenen November bei Matzath angeklopft: Hans Kalliwoda von der Kulturstiftung „De Blinde Schilders" aus Amsterdam.

Die Stiftung hatte 1997 ihren „Europartrain" auf die Schiene gestellt. Auf 18 Bahnhöfen in fünf europäischen Ländern präsentierte sich bislang der Zug. Zum Konzept gehört, dass in jedem neuen Land ein weiterer Waggon angekoppelt wird. In Deutschland hätte es der Naumburger „Schneewittchensarg" sein sollen.

Dieser Wagen, ist Hans Kalliwoda überzeugt, wäre mit der eingebauten Ausstattung bestens für die Zwecke der holländischen Kulturinitiative geeignet und sollte zum Multimedia-Waggon aufgerüstet werden. Bei einem Besuch in Naumburg im vergangenen November habe er sich von den Vorzügen des Wagens überzeugt und sein Interesse an einer - möglichst kostenlosen - Übernahme des „Schneewittchensargs" bei Naumburgs Bürgermeister Jürgen Matzath deutlich gemacht.

Kalliwoda ist nun stocksauer, weil der Waggon ausgeschlachtet wurde, ohne „De Blinde Schilders" zuvor darüber zu informieren. Er fühlt sich von Matzath getäuscht, da er mit dem Naumburger Bürgermeister im November „mündliche Vereinbarungen" getroffen habe. Nachdem Kalliwoda von der ersten Ausbauaktion erfahren hatte, habe er Matzath am 28. Februar zu Hause angerufen. Der habe ihm zugesagt, dass die weitere Demontage des Interieurs gestoppt werde, so der niederländische Künstler.

„Wie ein Idiot"

Stattdessen sei der Wagen anschließend gänzlich ausgeräumt worden. Er habe bereits mit Sponsoren verhandelt. Zwischen 50 000 und 150 000 Mark müssten in den Wagen gesteckt werden, um eine Streckenzulassung zu bekommen. Kalliwoda: „Meine ganzen Anstrengungen sind jetzt im Sand, ich stehe da wie ein Idiot".

Über den Kaufvertrag, der ihm vom Regional-Museum Naumburger Kleinbahn mit Datum vom 13. März zugegangen ist, könne er nur den Kopf schütteln. Im Anschreiben bietet ihm Matzath den ausgeschlachteten Wagen für 15 000 Mark plus Mehrwertsteuer an. Die Frist zum Unterschreiben ist gestern abgelaufen.

In seiner Antwort, die Kalliwoda dem Naumburger Bürgermeister am Donnerstag zugefaxt hat, macht der Künstler seiner Verärgerung Luft. Hans Kalliwoda: „Ich hoffe, dass in Zukunft die Elbenberger Feuerwehr jede Menge Freibier, um Ihren Brand zu löschen, für Sie übrig hat."

gefunden in HNA vom 01. April 2000


 

2000 04 01 Feuerwehr schlachtet Kulturzug aus

 

Sonntag, 28. April 2024

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